02.09.2023 um 16:00 Uhr: Andreas Maier liest aus seinem aktuellen Roman „Die Heimat“
Lesung & Gespräch
Moderation: Britta Gansebohm
Ort: Künstlerhof Schreyahn, Rundling 19, 29462 Wustrow
Kulturbeitrag: 8 Euro / ermäßigt 4 Euro (für Sozialhilfeempfänger & Bürgergeldempfänger), kostenlos für alle Menschen bis 18 Jahren.
Kartenvorverkauf und Reservierungen: „Buch und Musik“ 05862 985243 oder per E-Mail: buchundmusik@aol.com
Die Heimat
Roman | Ortsumgehung 9
Deutschland, Anfang der siebziger Jahre: ein Land voller Angst vor allem Fremden. Der einzige Italiener an der Schule wirkt wie ein außerirdisches Wesen. In den Achtzigern sind es die Türken, die zum ersten Mal die Tische vor die Wirtschaft stellen. Während die Wetterauer den ersten Döner im Landkreis als Widerstandsnahrung feiern, erobert der lange verschwundene Hitler den öffentlichen Raum in Funk und Fernsehen. In den Neunzigern träumt der Erzähler seinen großen Traum vom Wetterauer Land, verschwindet allerdings erst mal mit seiner Cousine unter einer Bettdecke am Ostrand der neuen Republik. Die Heimkunft gelingt innerfamiliär, das Haus der Großmutter wird als musealer Ort rekonstruiert, während im Ort wenigstens der Grundriss der 1938 niedergebrannten Synagoge wiederhergestellt wird. Aber noch im neuen Jahrtausend, als die ganze Republik ständig den Begriff »Heimat« diskutiert, will niemand vom früheren Leben in der konkreten Heimat wissen, als es die noch gab, die es seit ihrer Deportation nicht mehr gab.
Mit untrüglichem Gespür für alles Abgründige in der gelebten Normalität erzählt Andreas Maier von Deutschland zwischen Weltkrieg, Mauerfall und Jahrtausendwende; davon, wie es sich die Menschen gemütlich machen in vierzig Jahren Geschichte. Unbestechlich ist sein Blick auf eine Heimat, die seit jeher Fiktion ist.
Pressezitate zum Buch
»Wie in früheren Büchern gelingt es ihm auch in Heimat, privates Leben in seiner gesellschaftspolitischen Bedingtheit darzustellen.«
Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten
»Mit den Büchern von Andreas Maier … reist man, als säße man in einer Zeitmaschine.«
Profil Wien
»Maiers Ortsumgehung ist jetzt schon literarisch so unverzichtbar, wie es Edgar Reitz’ Film-Serie Heimat aus den 80er-Jahren ist.«
Jörg Magenau, rbb kultur
»Andreas Maier schreibt mit seiner Ortsumgehungliterarische Geschichte. Längst haben sich seine Bände als unentbehrlich und überaus bedeutend für die deutschsprachige Literatur erwiesen.«
Gérard Otremba, soundsandbooks.com
»Wer wissen möchte, in was für einem Land wir leben, und wie man darüber Literatur schreiben kann, der lese dieses Buch.«
Dirk Knipphals, taz. die tageszeitung
»Man soll die Heimat nicht denen überlassen, die mit ihr nur herumtümeln wollen. … Andreas Maier schreibt aber auch gegen die selbstbetrügerische Meinung der Literatur an, dass Schreiben immer Fortschritt sei. So einfach ist es nicht. Das gelebte Leben klebt jedem Roman am Schuh.«
Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung
»Ortsumgehung [ist] ein elegisches Großwerk im Geiste Marcel Prousts.«
Tobias Becker, DER SPIEGEL
»Andreas Maier hat … eine beneidenswerte Gabe: Er fühlt die Heimat, er kann sie geografisch im Innen und Außen verorten.«
Jan C. Behmann, der Freitag
»Einmal mehr triumphiert mit dem nachdenklichen ›Heimat‹-Buch der Meister einer prosaischen Beobachtungskunst, die sich Zeit für das Gestern nimmt, ohne nostalgisch darin festzukleben.«
Georg Leisten, Südwestpresse, Ulm
»Wie in früheren Büchern gelingt es ihm auch in Heimat, privates Leben in seiner gesellschaftspolitischen Bedingtheit darzustellen.«
Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten
Andreas Maier, 1967 im hessischen Bad Nauheim geboren, studierte Philosophie und Germanistik, anschließend Altphilologie. Er lebt in Frankfurt am Main.
- Autoren-Stipendium der Arno Schmidt Stiftung 2015
- Franz-Hessel-Preis 2012
- Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis 2011
- Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2010
- Hugo-Ball-Preis 2010
- Robert-Gernhardt-Preis 2009
- Villa Massimo-Stipendium 2006
- Mindener Candide-Preis 2004
- Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg 2003
- Stipendium Künstlerhof Schreyahn 2003 & 2014
- Wetterauer Kulturpreis 2001
- Wetterauer Kulturpreis 2001
- Literaturförderpreis der Jürgen Ponto-Stiftung 2000
- »aspekte«-Literaturpreis des ZDF 2000
- Ernst-Willner-Preis 2000
Roman Andreas Maier: „Die Heimat“
Von Jörg Magenau, rbbKultur
Stand vom 13.03.2023
„Ortsumgehung“ heißt das auf elf Bände angelegte autobiographische Großprojekt, mit dem Andreas Maier die eigene Herkunft in und um Friedberg, Bad Nauheim, die Wetterau und vielleicht noch Frankfurt am Main erforscht und erinnert. Nach dreizehn Jahren ist er nun beim neunten Band „Die Heimat“ angekommen, ein Titel, der auch über dem Ganzen stehen könnte.
Maier hat zunächst in der Kindheit angefangen und den Fokus vom „Zimmer“ über „Das Haus“, „Die Straße“, den „Ort“ und den „Kreis“ erweitert. Das ging von Band zu Band chronologisch durch die eigene Jugend, bis hin zur „Universität“. Dabei nahm er auch in den Blick, wie sich vom Kind zum Jugendlichen zum jungen Mann die Welt allmählich öffnet und verändert. Maiers „Ortsumgehung“ ist Familiengeschichte und eine Geschichte der Bundesrepublik aus der Provinzperspektive, die die Veränderungen des Wirtschaftswunderlandes bis in die Gegenwart hinein nachzeichnet.
Das drückt schon der Oberbegriff „Ortsumgehung“ aus, denn nichts hat das Land wohl so sehr verändert wie die Automobilisierung und der Straßenbau mit den Ortsumgehungstrassen. Man fährt nicht mehr durch die Orte, sondern um sie herum, was nicht nur zur Zerstörung der Landschaften, sondern auch zur Verödung der Gemeinden führte. „Ortsumgehung“ ist aber auch eine Metapher für das, was Maier literarisch unternimmt: Wieder und wieder „umgeht“ er die eigene Heimat, umkreist sie unter verschiedenen Aspekten, nun, im aktuellen Band, indem er den Begriff „Heimat“ und dessen Wandlungen in der Bundesrepublik zum Thema macht.
Heimat, sagt er da gleich zu Beginn, ist ein „schwarzes Loch“, ein „schwarzer Begriff“. Er schreibt also keine erbauliche „Heimatliteratur“, sondern ganz im Gegenteil: Heimat ist immer etwas Versunkenes, Verlorenes, etwas, das es schon nicht mehr gibt oder das es nie gab. Dem entsprechen bereits seine frühen Erinnerungen. Damals, in den 70er Jahren, sprach niemand von Heimat, jedenfalls nicht in Bezug auf die eigene Umwelt. Der Begriff kam nur im Zusammenhang mit den „Heimatvertriebenen“ vor und paradoxerweise mit den Fremden, den „Gastarbeitern“ und anderen, die ihre „Heimat“ verlassen oder verloren hatten. Außerdem gab es die „Heimatfilme“, aber die spielten in Österreich oder in Bayern, und die Menschen trugen dann seltsame, fremdartige Kleidung. Heimat hatte etwas Künstliches, Verlogenes an sich, was mit dem großen Schweigen über die NS-Zeit und ihre Folgen zusammenhing.
Im Gegensatz zu den ersten Bänden der „Ortsumgehung“, die sich jeweils einer bestimmten Zeit widmeten, macht Maier nun einen Schnelldurchlauf mit vier Kapiteln über vier Jahrzehnte von den Siebzigern bis in die Nuller-Jahre. So kann er nachzeichnen, wie sich der Heimatbegriff geändert hat. Er erinnert den Schock, den die Fernsehserie „Holocaust“ Ende der 70er auslöste oder ein Film über die Befreiung eines KZs, der in der Schule gezeigt wurde. Lange Zeit versuchte er vergeblich zu begreifen, was das eigentlich ist, ein „Jude“. Niemand sprach je darüber, dass es vor 1933 Juden in seiner Heimatstadt gab. „Mein Text ist so „judenfrei“ wie meine Heimatstadt“, schreibt Maier. Auch die Gedenkkultur kreist um ein „schwarzes Loch“.
Zwischen Autofiktion und soziologisch-historischer Analyse
Die Besonderheit der „Ortsumgehung“ besteht in der Verflechtung von erzählerischen und essayistischen Passagen. Die Erinnerungen sind bereits vom Verstehen durchdrungen, so wie Reflektionen erzählerisch sind. Was Maier Roman nennt, ist ein Mittelding zwischen Autofiktion und soziologisch-historischer Analyse. In „Die Heimat“ überwiegt das Essayistische. Das liegt vielleicht daran, dass das Erinnerungsmaterial nach neun Bändern allmählich auserzählt ist. Das Buch endet jedoch mit einer Geschichte: Nach Jahrzehnten besucht Andreas Maier eine Waldgaststätte wieder, in der nach Jahrzehnten noch alles unverändert ist – sogar der Gestank in der Pissrinne, vor der die Idee, über Heimat zu schreiben, entsteht.
Noch fehlen zwei Bände, doch Maiers „Ortsumgehung“ ist jetzt schon literarisch so unverzichtbar, wie es Edgar Reitz Film-Serie „Heimat“ aus den 80er Jahren ist. Reitz ist Maiers „Die Heimat“ auch gewidmet. Das Motto stammt von Glasisch, dem Ortschronisten aus Reitz‘ fiktivem Hundsrückdorf Schabbach. Schon der hat gewusst, dass die Straßen früher von Ort zu Ort führten, heute aber drum herum. Da muss dann die Literatur einspringen und festhalten, was in den Orten geschah.