„Geschichte & Gegenwart“
Axel Kahrs, Der Künstlerhof Schreyahn – Geschichte und Gegenwart einer Stipendiatenstätte
„Wir hoffen mit allen Interessierten, dass der Hof Schreyahn … dazu beiträgt, die Trennung von Kunst und Leben zu verringern und im besten Sinne das Leben möglichst vieler Menschen erweitert“ — ein hohes Ziel, das Lüchows Bürgermeister und Samtgemeindedirektor vor nunmehr fünfzehn Jahren ansteuerten. Die materielle Basis dazu lieferte der ehemalige Hof Techand, den die Samtgemeinde Lüchow als Träger der Einrichtung 1979 zusammen mit dem Landkreis und den Städten Lüchow und Wustrow ankaufte, um hier die damals dritte niedersächsische Künstlerstätte nach Worpswede und Bleckede einzurichten.1,3 Millionen DM aus Bundes-, Landes- und Samtgemeindemitteln wurden für Aus- und Umbau verwendet. 1981 war das Haupthaus fertiggestellt, im Mai zogen die ersten Künstler ein. 1983 stand zusätzlich das Nebengebäude für Musiker zur Verfügung. Die unzureichende Schalldämmung im Haupthaus führte nach zahlreichen Diskussionen 1992 zu einem Erweiterungsbau im hinteren Bereich des Hofes, dort finden sich nun die beiden geläufigen Ateliers der Schriftsteller. Die Musiker haben ihre Räume weiterhin im Haupthaus und im alten Backhaus; die freigewordenen Ateliers stehen Gästen bzw. ehemaligen Stipendiaten bei Besuchen zur Verfügung und dienen als Übungsräume bei Konzert- und Theaterproben, seit 1997 ist ein Archivraum hinzugekommen, in dem alles Wissenswerte über die Gäste, ihre Veranstaltungen und Publikationen gesammelt wird.Zentrum der Stipendiatenstätte ist und bleibt die große Diele des Hauses, die mit ihrem Kamin und der großen verglasten Fronttür Offenheit zum Dorf demonstriert und zugleich den Rückzug in die vertraute Gesprächsrunde am offenen Feuer ermöglicht.
Obwohl die Stipendiatenstätte aufgrund ihrer Abgelegenheit nicht über die Einrichtungen und Anbindungen verfügt, die für Künstler heutzutage oft unerläßlich sind, ist das Stipendium in Schreyahn begehrt. Und so nimmt es nicht wunder, dass im Sommer des Jahres 2000 der frischgekürte Büchner-Preisträger Arnold Stadler für drei Monate in Schreyahn lebte und arbeitete. Die lange Liste der Bewerber signalisiert großes Interesse, und wer Schreyahn mit Stipendiatenstätten auch in anderen Bundesländern vergleicht, weiß, dass hier in Bezug auf das Mobiliar, den Zuschnitt der Ateliers und das ländliche Umfeld ein attraktives Angebot besteht.
Um als Stipendiat eingeladen zu werden, ist eine schriftliche Eigen-Bewerbung bei der Samtgemeinde Lüchow möglich, Lebenslauf und Werkregister samt Leseproben werden eingefordert, um dem Künstlerischen Beirat die Auswahl zu ermöglichen: Sechs Personen, je drei für Musik und Literatur zuständig, beraten zusammen mit den zuständigen Fachreferenten des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur.
Die getroffene Auswahl an Künstlern ist für das Kuratorium, zusammengesetzt aus Vertretern des Landes, des Kreistages, des Samtgemeinderates und den jeweiligen Verwaltungsleitern, bindend, wobei ein Vetorecht beim Vertreter des Landes Niedersachsen besteht.
Ein Überblick über die Auswahl der Stipendiaten zeigt, dass der Beirat in Bezug auf Alter, Herkunft, Reputation und Geschlecht völlig offen urteilte: neben Niedersachsen finden sich Künstler aus der gesamten Bundesrepublik, gleich nach der Wende von 1989 auch aus den neuen Bundesländern, und besonders die Musiker können auf eine starke Fraktion internationaler Komponisten verweisen, die zu Gast in Schreyahn waren.
Ihnen wird wahlweise für drei, sechs oder neun Monate eine mietfreies Atelier mit Wohn- Arbeitszimmer, Schlafraum, Naßzelle und Küche gestellt, bei dem lediglich eine Kostenpauschale für Strom, Heizung und Wasser zu entrichten ist. Aus Mitteln des Landes Niedersachsen kann ein monatliches Stipendium gewährt werden, dessen Höhe z. Z. 1.400,- Euro beträgt.
Da kein einheitlicher Termin zum jeweiligen Antritt des Stipendiums besteht, wechselt die Zusammensetzung der Künstlergemeinschaft ständig – erschwerend für gemeinsame Projekte, aber befruchtend für neue Kontakte, Anregungen und Gedankenwechsel. Die vieldiskutierte „Anwesenheitspflicht“ hat sich inzwischen zur beiderseitigen Zufriedenheit eingespielt, den Künstlern ist es freigestellt, wie sie die Zeit auf dem Künstlerhof nutzen. Außer einem Abschlußbericht wird keine Rechenschaft verlangt, doch besteht die Erwartung, dass die Stipendiaten zur kulturellen Vielfalt des Landkreises beitragen, sich engagieren bei Lesungen, Konzerten, Theateraufführungen. Seit 1997 unterstützt ein wissenschaftlicher und künstlerischer Berater (zur Zeit Cécile Höfges) die Stipendiaten bei der Kontaktaufnahme im Wendland.
Die Bilanz seit Gründung des Künstlerhofes Schreyahn im Jahre 1981 kann unterm Strich nur positiv ausfallen; Lage, Zielsetzung, Ausstattung und bauliche Einrichtung der Stätte sowie Auswahl und Wirken der Stipendiaten ergeben das Bild einer kulturellen Einrichtung, die nicht mehr wegzudenken ist aus dem Angebot des Wendlandes und Niedersachsens.
So war es auch nur folgerichtig, dass im Frühjahr 1995 die damalige Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Helga Schuchardt, auf eine Resolution zum Erhalt der Künstlerstätte mit den Worten reagierte, dass „deren breite Resonanz sowohl in der literarischen Szene als auch im wendländischen Freundeskreis des Künstlerhofs Schreyahn wieder einmal die Bedeutung der Stipendiatenstätte deutlich werden ließ“ – eine Einschätzung, die von Thomas Oppermann, Schuchardts Nachfolger als Minister für Wissenschaft und Kultur, bei seinem Besuch im Frühjahr 2000 bestätigt wurde: Dass Schreyahn ein „Ort sei, am dem man sich wohlfühlen kann“, habe viel zu seinem guten Ruf weit über die Kreisgrenzen hinaus beigetragen.
(Stand 2005)
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